#1
Qualität ist viel mehr als nur die Freiheit von Fehlern. Sie gliedert sich auf in zahlreiche Facetten, ist oft messbar – manchmal aber auch nicht. So wie bei der Anmutungsqualität. Sie bezeichnet die Wirkung eines Objekts auf seinen Betrachter über einen oder mehrere Wahrnehmungskanäle und ist nicht nur von dessen Eigenschaften, sondern auch von der Sozialisation des Betrachters und der Umgebung des Objekts abhängig.
Einfach nur schön
#2
Schon beim ersten Blick entscheidet sich meist, ob wir einen Gegenstand – ein Kunstwerk, ein Bauwerk oder ein Auto – schön finden. Und damit fällen wir bereits ein Urteil über dessen Anmutungsqualität. Oft herrscht innerhalb eines bestimmten Kulturkreises Einigkeit über die ästhetische Beurteilung von Objekten. So kann sich kaum ein Technik-Fan der Faszination eines hinreißend geformten Sportwagens entziehen. Und lässt sich dabei auch nicht von ungleichmäßigen Spaltmaßen beirren.
#3
Qualität hat viel mit Testen, Tüfteln und ständigem Optimieren zu tun. Aber oft braucht es am Anfang vor allem eines: die ebenso kühne wie ungewöhnliche Idee. Was kreativ entstanden ist, muss in oft mühsamer Detailarbeit umgesetzt werden, um Qualität sichtbar und erlebbar zu machen. Aber: Gemeinsam sind Visionäre und Tüftler unschlagbar.
Idee und Lösung
#4
Am Anfang stand die Idee, den Hoover Dam als Projektionsfläche für die Weltpremiere des ersten autonom fahrenden Lkw mit Straßenzulassung zu nutzen. Dazu mussten 39.000 Quadratmeter grauen Betons mit einer Gesamtleistung von 1,17 Millionen Lumen hell beleuchtet werden. Ein Videoprojektionsmapping synchronisierte die Einzelbilder von 60 Großbeamern auf die gewölbte Oberfläche der Staumauer zu einem Gesamtbild – möglich durch eine Einteilung des 221 Meter hohen und 380 Meter breiten Bauwerks in einzelne Segmente. Am Ende fand die lichtstärkste Projektion aller Zeiten sogar ihren Weg ins Guinness-Buch der Rekorde.
© Mike / Daimler AG
#5
Langlebigkeit wird landläufig als zentrales Merkmal von Qualität verstanden. Da sich Qualität aber an den Anforderungen von Nutzern misst, ist Dauerhaltbarkeit oft gar nicht gewünscht: Wer möchte schon mit einem noch so robusten 20 Jahre alten Mobiltelefon hantieren? Trotzdem: Geräte oder Maschinen, die zum Teil seit Jahrzehnten ihren Dienst verrichten, nötigen uns heute ihren Respekt ab. Und mit ihrer Langzeitqualität setzen sie nicht nur ihren Erbauern ein Denkmal, sondern auch ein Zeichen für Nachhaltigkeit.
Ewiges Licht
#6
Dennis Bernal, der Besitzer des örtlichen Elektrizitätswerks „Livermore Power and Light Co.", hatte 1901 eine Idee, die hundert Jahre später Vorbild für das Geschäftsmodell von Mobilfunkanbietern hätte sein können. Er schenkte der Feuerwehr von Livermore, Kalifornien, am 8. Juni eine Glühlampe, damit die Männer bei nächtlichem Alarm nicht mehr mühsam eine Kerosinlampe entzünden mussten und seinen Strom bezogen. Seit dem letzten Umzug der Feuerwache im März 1976 brennt die älteste Glühlampe der Welt ununterbrochen – insgesamt seit 114 Jahren. Das Leuchtmittel mit mundgeblasenem Glaskörper entstand in der Shelby Electric Company, Ohio – nur 22 Jahre, nachdem Thomas Edison die Glühlampe erfunden hatte.
© Dick Jones
4 Fragen an
Ludger
Neuwinger-Heimes
Chief Financial Officer (CFO)
Freudenberg Sealing Technologies
Herr Neuwinger-Heimes, als Chief Financial Officer (CFO) von Freudenberg Sealing Technologies: Wie oft stehen Sie im Konflikt zwischen Kostendruck und Qualität?
Die Frage stellt sich so nicht. Das Qualitätsniveau wird von den Märkten beziehungsweise Kunden vorgegeben und ist nicht verhandelbar. Die Herausforderung für uns ist, dieses Qualitätsniveau mit den geringstmöglichen Kosten zu erzielen. Vielleicht ist es einer der deutlichsten Unterschiede zwischen uns mit einer mehr als 160-jährigen Tradition und anderen Unternehmen, die eher auf den kurzfristigen Erfolg abzielen: Wir wissen genau, dass wir eine langfristige und dauerhafte Absicherung unseres Erfolges nur mit einem absoluten Höchstmaß an Qualität erreichen. Unsere Produkte haben zwar einen relativ geringen Wertschöpfungsanteil an den komplexen Systemen unserer Kunden – aber einen entscheidenden Anteil an deren Funktionssicherheit. Unser Anspruch ist: Null-Fehler-Qualität. Dabei können wir keine Kompromisse eingehen, das wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht unverantwortlich. Nicht nur vor dem Hintergrund drohender Produkthaftungsansprüche, sondern auch für unser Image als Lieferant. Viele Hersteller haben schon die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass eine rein preisgetriebene Lieferantenentscheidung sich letztlich nicht gerechnet hat und der Imageschaden von Rückrufen immens ist.
Freudenberg Sealing Technologies leistet sich eine aufwendige und teure Grundlagenforschung. Muss das aus Ihrer Sicht sein, um die Qualität zu sichern?
Absolut. Als Technologie-Unternehmen muss der Qualitätsbegriff sehr weit gefasst werden. Um unsere Stellung im Markt abzusichern, reicht es nicht aus, Prozesse so weit im Griff zu haben, dass man praktisch fehlerfrei produzieren kann. Genauso wichtig ist es, mit Innovationsqualität dem Wettbewerb eben immer genau jenen Schritt voraus zu sein, der entscheidend ist. So haben wir 2013 eine vollkommen neue und inzwischen erfolgreich etablierte Polyurethan-Generation entwickelt, mit der die Anwendungsmöglichkeiten dieses seit den 1950er-Jahren bekannten Werkstoffes deutlich erweitert werden. Zwar führt nicht jedes neue Forschungsprojekt auf Anhieb zu kommerziellen Ergebnissen. Wichtig ist aber für uns, immer wieder neue Technologien und Werkstoffe zu entwickeln, die unseren Vorsprung in Sachen Innovationsqualität absichern.
„Unser Anspruch ist:
Null-Fehler-Qualität."
Die Produktion in Westeuropa steht unter enormem Kostendruck. Gleichzeitig ist Wachstum fast ausschließlich in den asiatischen Märkten zu verzeichnen. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung – und wie sichern Sie die Qualität?
Wir sind global sehr gut positioniert und reagieren entsprechend auf die Herausforderung, dass sich die Weltregionen unterschiedlich entwickeln. Als eines der ersten westeuropäischen Unternehmen ist Freudenberg schon in den frühen 1960er-Jahren eine Kooperation mit einem japanischen Unternehmen eingegangen. Heute ist NOK unser Kooperationspartner für die meisten Aktivitäten in China. Wir erweitern derzeit unsere Kapazitäten in China beispielsweise für Akkumulatoren oder Flüssigsilikone – beides Technologien, deren Bedeutung zunimmt. Um am globalen Wachstum teilhaben zu können, ist dies auch absolut erforderlich. Dabei achten wir darauf, dass wir kompromisslos die gleiche Qualität produzieren wie überall in unseren weltweit mehr als 45 Standorten. Gleichzeitig haben wir Aktivitäten gestartet, um auch unsere europäischen Standorte zu stärken. Wesentlich sind hier die Flexibilität und das ausgeprägte Know-how, das es uns ermöglicht, auch die schwierigsten Herausforderungen, mit denen uns unsere Kunden konfrontieren, zu meistern.
Welche persönlichen Erfahrungen verbinden Sie mit dem Begriff Qualität? Gibt es Bereiche, die Sie besonders beeindruckt haben – oder sensibilisiert haben für Qualität?
Jeder hat sicherlich schon die Erfahrung gemacht, dass einen Kompromisse bei der Qualität von langlebigen Gebrauchsgütern teuer zu stehen kommen – entweder durch frühen Reparaturaufwand oder eingeschränkte Freude bei der Nutzung. Ich bin begeisterter Hobby-Läufer und achte daher sehr auf Langlebigkeit, Komfort und Materialien meiner Laufschuhe. Leider ist der Preis kein guter Indikator für Qualität. Da muss man schon tiefer einsteigen und sich intensiver mit den Faktoren beschäftigen, die letztendlich die Qualität bestimmen. Vergleicht man die Qualität der aktuellen Schuhe mit denen aus den Anfängen meines Hobbys vor 30 Jahren, ist der qualitative Fortschritt in allen Bereichen beeindruckend. Intensive Materialforschung, Innovationsfreudigkeit sowie Werkstoff- und Anwendungskompetenz zahlen sich also auch bei Laufschuhen aus.
Das Management Board von
Freudenberg Sealing Technologies. Mehr...
Qualität als Gesetz
Von dem babylonischen König Hammurapi
(1792 bis 1750 v. Chr.) stammt die älteste überlieferte Rechtssammlung, die ihm der Sonnengott Shamash persönlich diktiert haben soll. Der „Codex Hammurapi" drohte den Lieferanten schlechter Waren drastische Strafen an.
Qualität –
was ist das?
Es ist ein Begriff, der sich in Berufs- und Alltagsleben fest eingebürgert hat. Und bei dem mitschwingt, dass es um etwas geht, was objektiv und messbar ist. Aber bei näherem Hinsehen stellt sich heraus: Wenn wir von „Qualität" sprechen, meinen wir oft Unterschiedliches. Und stellen, wenn wir Qualität hinterfragen, schnell fest, dass es gar nicht so einfach ist zu definieren, was wir darunter verstehen. Qualität: ESSENTIAL nähert sich einem komplexen Phänomen.
Für Lieferanten des babylonischen Königshofs war Hammurapi –von 1792 bis 1750 vor Christus der sechste König der ersten Dynastie – ein schwieriger Kunde. Der antike Herrscher hat sich seinen Platz in der Geschichte durch den „Codex Hammurapi" gesichert, heute die älteste vollständig erhaltene Rechtssammlung. 282 Paragrafen waren auf einer 2,25 Meter hohen Stele aus Diorit aufgezeichnet. Und unmissverständlich stand dort zu lesen: „Wer schlechte Ware liefert, wird geköpft." Was Hammurapi unter schlecht verstand, ist allerdings nicht überliefert.
Einen Maßstab dafür zu finden, hat fast 1.400 Jahre später erstmals Aristoteles versucht. Der griechische Philosoph definierte „zehn Kategorien", mit deren Hilfe alle Gegenstände, Phänomene oder Lebewesen beschrieben werden sollten. Die dritte Kategorie – nach Substanz und Quantität – ist die Qualität. Die Frage von Aristoteles nach der dritten Kategorie lautete: Welche Beschaffenheit hat ein Subjekt? Qualität beschrieb er als „System der Eigenschaften, die ein Ding zu dem machen, was es ist und es von den anderen Dingen unterscheidet". Ein wesentliches Merkmal für gut oder schlecht ist dabei, wie gut etwas zu dem Zweck taugt, für den es bestimmt ist. Die Qualität eines Esels mit den Kriterien eines Pferdes zu messen, hätte nach Aristoteles dazu geführt, gute Esel nicht von schlechten unterscheiden zu können.
Die Zünfte: erstes Qualitätsmanagement
500 Jahre zurück liegen die ersten Anfänge von Qualitätsmanagement. Denn die Erkenntnis, dass Qualität – insbesondere bei handwerklichen Produkten – keine fest vorgegebene Größe, sondern auch Ergebnis eines Prozesses und der Fähigkeiten eines Produzenten sein müsse, setzte sich schon früh durch. So begleiteten erste Gesetze für Techniken und Ausbildung die Entstehung der Zünfte Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Handwerker sicherten Qualität, indem sie Verfahrensweisen für jeden Beruf standardisierten und danach ausbildeten. Die ersten Normen entstanden. Die bekannteste: das Reinheitsgebot für bayerisches Bier. Herzog Wilhelm IV. unterzeichnete am 23. April 1516 einen Erlass, der sowohl die Preise als auch die Inhaltsstoffe des Bieres regulierte.
Während langer Lehr- und Gesellenjahre wurde Qualitätsdenken geübt. Dabei kann – selbst nach heutigen Maßstäben – der damalige Qualitätsbegriff als ganzheitlich und nachhaltig bezeichnet werden. Was vor allem daran lag, dass ein Handwerker für die gesamte Prozesskette verantwortlich war, von der Planung bis zur Qualitätskontrolle. So war für den Küfer schon bei der Auswahl des Holzes für den Bau eines neuen Fasses ein entscheidendes Kriterium, am Ende fristgerecht ein qualitativ hochwertiges und dichtes Fass auszuliefern. Handwerkliches Wissen und Techniken wurden über Generationen hinweg weitergegeben und verfeinert.
Eine Zäsur kam mit der Industrialisierung: Mit dem Entstehen erster Fabriken setzte die Arbeitsteilung ein. Der ungelernte Fabrikarbeiter war nur noch für einen kleinen Teilschritt der Wertschöpfung zuständig – eine Qualitätskontrolle konnte er nicht durchführen.
Die Zünfte lieferten die ersten verbindlichen Qualitätsregeln für das Handwerk. Bestes – und heute noch gültiges – Beispiel:
das Reinheitsgebot für Bier aus dem Jahr 1516.
Diese Aufgabe mussten andere übernehmen. Der amerikanische Ingenieur Frederick Taylor, der Anfang des 20. Jahrhunderts die wissenschaftliche Betriebsführung mit weitgehender Arbeitsteilung entwickelt hatte, sah den „Inspekteur" als eigene Funktion vor. Dessen Aufgabe bestand vor allem darin, nicht funktionierende Produkte auszusortieren, damit sie repariert werden konnten. Planung und Produktion waren nun von der Qualitätssicherung entkoppelt. Wichtig war vor allem, die Qualitätskontrollen zu bestehen – weniger wichtig, ob am Ende auch ein „gutes" Produkt stand. Wobei der Spruch „Für Qualität haben wir die Qualitätsabteilung" durchaus auch heute noch in vielen Unternehmen zu hören ist.
Zwar hatten einige große amerikanische Firmen in den 1930er-Jahren bereits erkannt, dass es billiger war, Qualität in die Produkte hineinzukonstruieren, anstatt nachträglich Defekte zu suchen und zu reparieren: So hatte der Ingenieur Walter A. Shewart bei den Bell Telephone Laboratories schon 1931 statistische Methoden zur Qualitätssteuerung wie die Qualitätsregelkarte (ein Instrument zur grafischen Darstellung statistischer Stichproben) entwickelt. Aber eine breitere Anwendung fanden solche Methoden erst im Zweiten Weltkrieg. Die amerikanische Armee litt unter fehlerhaftem Material: Bei einer Untersuchung hatte sich beispielsweise herausgestellt, dass nur ein Drittel der elektrischen Geräte der U.S. Navy zuverlässig arbeitete – und dass von neun georderten Elektronenröhren in der Regel nur eine einzige funktionierte. Um die ohnehin ausufernden Kriegskosten wenigstens ansatzweise zu reduzieren, verpflichtete die amerikanische Regierung die Zulieferer der Streitkräfte fortan zur konsequenten Anwendung moderner Methoden zur Qualitätskontrolle. Der Ingenieur und Statistiker W. Edwards Deming führte die statistische Prozesskontrolle ein, auf deren Basis später die 1959 verabschiedete Norm MIL Q-9858 entwickelt werden sollte.
Mit Kriegsende ließ das Interesse an Qualitätsfragen jedoch nach – zu groß war der Nachholbedarf, der bewirkte, dass ohnehin alles gekauft wurde, was die Bänder verließ.
Mit der industriellen Arbeitsteilung ging das Bewusstsein des Einzelnen für die Qualität des Endprodukts zunächst verloren
Big in Japan
W. Edwards Deming war enttäuscht. Mit seinen Prozessen zur Qualitätskontrolle stieß er daheim auf taube Ohren. Anders bei den ehemaligen Kriegsgegnern: Die Wirtschaft im Nachkriegs-Japan begann sich langsam zu erholen. Angesichts knapper Ressourcen bei Produzenten und Konsumenten konnten sich die Asiaten keine schlechte Qualität leisten. Die Japanese Union of Scientists and Engineers lud Deming daher im Sommer 1950 zu einer Vorlesungsreihe über statistische Prozesslenkung in Tokio und Hakone ein. Hunderte von japanischen Ingenieuren und künftigen Topmanagern machten sich mit den von Deming entwickelten Optimierungen von Produktions- und Fertigungsprozessen vertraut. Welche Bedeutung die Ideen des Amerikaners für die japanische Wirtschaft hatten, lässt sich daran erkennen, dass schon 1951 der seither regelmäßig vergebene Deming-Preis etabliert wurde – bis heute die höchste Auszeichnung für japanische Ingenieure.
Vor allem Demings Qualitätsregelkreis (kommt es zu Abweichungen, werden diese analysiert, ihre Ursachen gefunden und abgestellt) wurde in Japan konsequent umgesetzt.
Deming stellte zwei Aspekte in den Vordergrund:
1. Vor dem Hintergrund, dass Qualität nicht ergebnisbezogen geprüft werden kann, rückt er den Prozess und damit statistische Verfahren der Prozesssteuerung und -regelung in den Vordergrund seiner Betrachtungen (statistische Qualitätskontrolle).
2. Deming legt ein großes Gewicht auf das Verhalten der Mitarbeiter in Bezug auf Zusammenarbeit, Kommunikation, freie Meinungsäußerung und offenes Klima. In Demings Konzept wird daher die Ermittlung von Qualitätskosten abgelehnt.
1952 wurde mit dem Wirtschaftsingenieur Joseph M. Juran ein weiterer amerikanischer Wissenschaftler nach Japan eingeladen, der ein Jahr zuvor ein Quality Control Handbook veröffentlicht hatte: Jurans Qualitätstrilogie beruhte auf Qualitätsplanung, Qualitätsregelung und Qualitätsverbesserung. Kern seiner Lehre war, dass Qualität eine Managementphilosophie sein müsse, in deren Mittelpunkt der Kunde steht. Sein Kunden-Lieferanten-Konzept wurde auch innerhalb eines Unternehmens angewendet, so konnte ein Mitarbeiter „Kunde" eines anderen Mitarbeiters sein.
Deming und Juran waren die Initialzündung für zahlreiche Prozesse, die von japanischen Ingenieuren weiterentwickelt wurden – und dazu führten, dass knapp 25 Jahre später die Erfolge unübersehbar waren. Aus dem vom Mangel geprägten, ungesättigten „Herstellermarkt" war inzwischen ein gesättigter „Kundenmarkt" geworden, in dem Qualitätsanforderungen der Kunden einen viel höheren Stellenwert bekamen. Viele westliche Unternehmen waren darauf nicht vorbereitet. Ganze Industrien, wie die Elektronik-, Optik- und die Motorradindustrie, wurden weltweit von japanischen Unternehmen beherrscht. „Made in Japan" war 1972 nicht nur Titel eines von den Kritikern gefeierten Deep-Purple-Albums, sondern auch zum Markenzeichen einer starken, exportorientierten und selbstbewussten Nation geworden. Und Mitte der 1970er-Jahre wurde auch die japanische Automobilindustrie zunehmend zur Bedrohung für amerikanische und europäische Unternehmen.
W. Edwards Deming gelangte endlich auch in seinem Heimatland zu spätem Ruhm. 1980 stellte ein NBC-Dokumentarfilm mit dem Titel „If Japan can ... Why can't we?" den inzwischen 80-jährigen Wissenschaftler einem breiten Publikum vor. Fortan waren seine Seminare trotz rasant steigender Preise ausgebucht. Plötzlich wurde auch in den USA Qualität wieder zu einem wichtigen Thema. Deming entwickelte seinen Qualitätsregelkreis zum PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) weiter. Kaoru Ishikawas Company Wide Quality Control (CWQC) wurde zum Total Quality Management (TQM) weiterentwickelt und die Null-Fehler-Programme, die in den 1960er-Jahren für die Herstellung von Raketen für das amerikanische Raumfahrtprogramm entwickelt wurden, zum Six-Sigma-Ansatz.
Die unterschiedlichen Sichtweisen der Qualität
Nachdem der Erfolg der japanischen Industrie eine Sensibilität für Qualität geschaffen hatte, wuchs zunehmend auch das Bewusstsein dafür, dass Qualität mehr ist als die Freiheit von Fehlern. Der Harvard-Professor David A. Garvin revolutionierte Anfang der 1980er-Jahre die Definition von Qualität, indem er den Begriff auf fünf Sichtweisen erweiterte. Die Sichtweisen verdeutlichen, dass es – wie schon bei Aristoteles formuliert – auf den Kontext ankommt, was unter Qualität zu verstehen ist. Gleichzeitig definierte Garvin acht Dimensionen, mit denen sich die Qualität eines Produktes beschreiben lässt:
1. Die transzendente Sichtweise beschreibt Qualität als absolut und universell erkennbar, nicht präzise definierbar und nur durch Erfahrung empfindbar. Qualität im Sinne einer nicht messbaren Perfektion lässt sich am ehesten auf Mode und Design anwenden. Aber auch ein Produkt von besonderer Ingenieurskunst – wie ein Hochleistungssportwagen – kann für transzendente Qualität stehen. Als Qualitätsdimension ist Ästhetik für diese Sichtweise besonders wichtig.
2. Die produktbezogene Sichtweise geht davon aus, dass Qualität präzise messbar ist und Unterschiede quantitativ ausgedrückt werden können. So ist etwa für einen Teppich die Zahl der Knoten pro Quadratzentimeter ein klares Qualitätskriterium. Als Qualitätsdimensionen sind für diese Sichtweise Leistung, Produktfeatures, Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit besonders wichtig.
3. Bei der anwenderbezogenen Sichtweise geht es um die Frage, wie sehr ein Produkt ein individuelles Bedürfnis erfüllen kann. So gibt es nur einen einzigen Grund für die Existenz von Cabriolets: Weil es Menschen gibt, die das Offenfahren genießen. Ästhetik und die wahrgenommene Qualität – zu der auch Image und Reputation gehören – sind hier besonders entscheidend.
4. Die prozessbezogene Sichtweise beschreibt Qualität als das Einhalten vorgegebener Spezifikationen. Aus dieser Perspektive kann ein preiswerter Kleinwagen ebenso für gute Qualität stehen wie ein High-End-Luxusauto – wenn die spezifischen Anforderungen genau eingehalten werden. Als Qualitätsdimensionen sind Konformität und Zuverlässigkeit von besonderer Bedeutung.
5. Die wertbezogene Sichtweise ist eng mit den beiden vorangegangenen Sichtweisen verknüpft. Sie beschreibt Qualität als das Erfüllen einer Leistung zu akzeptablen Kosten. Exzellenz wird in Relation gesetzt zum Wert. Das Ergebnis ist eine Mischform, deren Grenzwerte sich in der Praxis nur schwer definieren lassen. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass sich immer mehr Kunden diese Sichtweise aneignen. Typisches Beispiel: Wer beim Discounter eine Sonnencreme für 1 Euro/100 ml kauft, um sich vor schädlichen UV-Strahlen zu schützen, ist kaum dazu bereit, 5 Euro/ml auszugeben, wenn der Mehrwert im Verpackungsdesign oder dem Duft besteht.
Ursache vieler erbitterter Auseinandersetzungen in Unternehmen sind oft die unterschiedlichen Sichtweisen von Qualität. Marketing- und Vertriebsexperten fühlen sich eher der produkt- oder anwenderbezogenen Sichtweise verpflichtet – und verstehen unter höherer Qualität mehr Leistung, mehr Ausstattung und andere Upgrades, die oft auch Mehrkosten verursachen. Manager, die für die Fertigung verantwortlich sind, definieren Qualität dagegen eher prozessbezogen. Mehr prozessbezogene Qualität bedeutet für sie vor allem: niedrigere Kosten. Für David A. Garvin ist wichtig, dass ein Bewusstsein für die Berechtigung unterschiedlicher Sichtweisen von Qualität geschaffen wird. Unternehmen sind – nach Auffassung des Wissenschaftlers – am erfolgreichsten, wenn sie:
bei der Planung eines neuen Produkts die anwenderbezogene Qualität („Was will der Kunde?") in den Vordergrund stellen,
bei der Konstruktion die produktbezogene Sichtweise („Was unterscheidet mein Produkt von anderen?") annehmen und
in der Umsetzung den Schwerpunkt auf die prozessbezogene Sichtweise legen.
Erfolgreiche Unternehmen müssen nicht zwangsläufig alle Sichtweisen oder Dimensionen der Qualität berücksichtigen. So war der Erfolg der japanischen Automobilindustrie in den 1970er-Jahren vor allem ein Ergebnis der produktbezogenen Qualität – mit dem Schwerpunkt auf Zuverlässigkeit und geringer Reparaturanfälligkeit. Dort hatten amerikanische Hersteller ein starkes Defizit und konnten das Bedürfnis vieler Kunden nach einem preiswerten Auto, das einfach nur funktionieren sollte, nicht befriedigen. Andere Qualitäten, wie ästhetische Merkmale oder auch die Dauerhaltbarkeit, wurden von den Käufern japanischer Autos im Amerika der Siebziger weniger wichtig genommen.
Gerade der japanischen Automobilindustrie wurde in den letzten Jahren jedoch häufig vorgeworfen, ihren Fokus ausschließlich auf die produktbezogene Qualität zu legen – einen Bereich, in dem amerikanische, europäische und koreanische Hersteller mittlerweile das Level der Japaner erreicht haben. Bei gleicher Produktqualität aber werden Elemente der anwenderbezogenen, wahrgenommenen Qualität immer wichtiger. Toyota hat daher für die Entwicklung des 2015 in Europa vorgestellten Kompaktwagens Auris eigens eine Abteilung für „wahrnehmbare Qualität" gegründet. Deren Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich um das visuelle, haptische und auditive Fahrerlebnis der Insassen.
Auch in Deutschland wird über das zukünftige Leitbild für Qualität intensiv nachgedacht. Die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) fordert eine Definition des Qualitätsbegriffs, die „über bloße Maßarbeit und hochwertige Verarbeitung hinausgeht". Sie will einer Hemmung innovativer Ansätze durch einengende Prozesse entgegenwirken. Das Credo: Qualität kann nicht auf Innovation verzichten, denn nur durch sie wird eine markt- und bedarfsgerechte Qualität gesichert. Den Unternehmen legt die DGQ folgende Orientierung nahe:
Risikobereitschaft zeigen und Veränderungen antizipieren, anstatt lediglich auf sie zu reagieren.
Strukturen, Methoden und Prozesse als Mittel zum Zweck verstehen. Sie sind wichtig, um hochqualitative Leistungen zu erbringen. Gleichzeitig müssen sie jedoch eine gewisse Flexibilität aufweisen, um Innovationsbarrieren zu vermeiden.
Mitarbeiter sind das zentrale Innovationspotenzial im Unternehmen. Ihre Ideen sollten offen aufgenommen werden. Nur Führungskräfte, die diese Kultur der Offenheit und Toleranz fördern, schöpfen das Innovationspotenzial ihres Unternehmens voll aus.
Was also ist Qualität? Sie ist mehr als die Freiheit von Fehlern, entzieht sich einer einfachen Beurteilung und ist nie ohne ihren spezifischen Kontext zu bewerten. Qualität drückt letztlich eine Haltung aus, die in Unternehmen vor allem von Führungskräften vorgelebt werden muss. Daher ist Qualität vor allem eines: eine Managementphilosophie.
Verbesserte Qualität –> verbesserte Produktivität –>
sinkende Kosten –> wettbewerbsfähige Preise –>
sichere Marktanteile –> Festigung des Unternehmens –>
sichere Arbeitsplätze –>
gesichertes Unternehmen
Deming'sche Reaktionskette
Die Deming'sche Reaktionskette führt auf der Basis der 14 Punkte die Sicherheit von Arbeitsplätzen und die Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens auf das Vorhandensein und die ständige Verbesserung von Qualität zurück. Die einzelnen Bestandteile der Kette sind:
Verbesserte Qualität › verbesserte Produktivität › sinkende Kosten › wettbewerbsfähige Preise › sichere Marktanteile › Festigung des Unternehmens › sichere Arbeitsplätze › gesichertes Unternehmen.
Eine Abkürzung dieser Reaktionskette ist nach Deming nicht möglich.
Als die sieben tödlichen Krankheiten bezeichnet Deming solche Verstöße gegen die 14 Punkte, die besonders negative Folgen nach sich ziehen und schließlich zum Scheitern eines gesamten Managementprogramms führen können:
Das 14-Punkte-
Managementprogramm
von W. Edwards Deming
1. Schaffe ein unverrückbares Unternehmensziel in Richtung auf eine ständige Verbesserung von Produkt und Dienstleistung.
2. Wende die neue Philosophie an, um wirtschaftliche Stabilität sicherzustellen.
3. Beende die Notwendigkeit und Abhängigkeit von Vollkontrollen, um Qualität zu erreichen.
4. Beende die Praxis, Geschäfte auf Basis des niedrigsten Preises zu machen.
5. Suche ständig nach Ursachen von Problemen, um alle Systeme in Produktion und Dienstleistung sowie alle anderen Aktivitäten im Unternehmen beständig und immer wieder zu verbessern (ständige Verbesserung).
6. Schaffe moderne Methoden des Trainings und des Wiederholtrainings direkt am Arbeitsplatz und für die Arbeitsaufgabe.
7. Setze moderne Führungsmethoden ein, die sich darauf konzentrieren, den Menschen (und Maschinen) zu helfen, ihre Arbeit besser auszuführen.
8. Beseitige die Atmosphäre der Angst.
9. Beseitige die Abgrenzung der einzelnen Abteilungen voneinander.
10. Beseitige den Gebrauch von Aufrufen, Plakaten und Ermahnungen.
11. Beseitige Leistungsvorgaben, die zahlenmäßige Quoten (Standards) und Ziele für die Arbeiter festlegen.
12. Beseitige alle Hindernisse, die den Arbeitern und den Vorgesetzten das Recht nehmen, auf ihre Arbeit stolz zu sein.
13. Schaffe ein durchgreifendes Ausbildungsprogramm und ermuntere zur Selbstverbesserung für jeden Einzelnen.
14. Definiere deutlich die dauerhafte Verpflichtung des Topmanagements zur ständigen Verbesserung von Qualität und Produktivität.
Die sieben tödlichen Krankheiten
eines Managementsystems
(W. Edwards Deming)
1. Fehlen eines feststehenden Organisationszwecks
2. Fokussierung auf den kurzfristigen Gewinn
3. Jährliche Bewertung, Leistungsbeurteilung, persönliches Beurteilungssystem
4. Hohe Fluktuation in der Organisationsleitung, Springen von Firma zu Firma
5. Verwendung von Kenngrößen durch das Management – ohne Berücksichtigung von solchen Größen, die unbekannt oder nicht quantifizierbar sind
6. Überhöhte Sozialkosten
7. Überhöhte Kosten aus Produkthaftpflichturteilen
Qualität – verschiedene Definitionen
Konzept von Joseph M. Juran:
Juran, einer der führenden Qualitätsexperten in den USA, definiert Qualität als „fitness for use". Nach dieser Definition ist unter Qualität die Gebrauchstauglichkeit einer erstellten Leistung in den Augen der Kunden zu verstehen. Die Beurteilung von Qualität leitet sich aus den individuellen Bedürfnissen der Kunden ab. Aufgabe des Managements ist die Initiierung und Umsetzung eines Prozesses zur Verbesserung der Qualität im Unternehmen. Nach Juran läuft eine ausschließlich fertigungsbezogene Qualitätsdefinition Gefahr, Veränderungen des Kundenverhaltens zu spät zu registrieren und unter Umständen Konkurrenzeinflüsse zu vernachlässigen. Um „fitness for use" zu erreichen, muss ein Unternehmen eine Reihe qualitätsbezogener Aktivitäten einleiten, die Juran mithilfe einer Qualitätsspirale (der Kreislauf von der Marktforschung über Produktentwicklung, Fertigung, Verkauf bis zurück zur Marktforschung) erläutert. Besondere Bedeutung kommt auch umfangreichen Trainingsprogrammen auf allen Managementebenen zur Qualitätsverbesserung zu. Des Weiteren vertritt er die Ansicht, dass durch jährlich durchgeführte Verbesserungsprogramme Qualität kontinuierlich und auf Dauer gesteigert werden kann.
ISO (DIN) 9000 – 9004 (ISO):
Die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) in Frankfurt hat in Deutschland bei der Gestaltung der DIN-Normen mitgewirkt und definiert Qualität als die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produktes oder einer Tätigkeit, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung gegebener Erfordernisse beziehen (DIN 55350 Teil 11:
Begriffe der Qualitätssicherung und Statistik; Begriffe der Qualitätssicherung, Grundbegriffe, Berlin). Die Normserie bezweckt, dass die Qualität in Relation zu den Anfor-derungen bewertet und beurteilt wird, die eine große Zahl von Merkmalen und Eigenschaften umfassen können. Durch ein Qualitätssicherungssystem sollen die Qualitätsanforderungen kostengünstig umgesetzt und die Wettbewerbsposition gestärkt werden. Die Bewertung der ISO-Normreihe wird in der Literatur sehr unterschiedlich diskutiert. Dennoch ist eine zunehmende Bedeutung für den europäischen Binnenmarkt und die Intensivierung der internationalen, globalen Verflechtungen unbestritten.



















